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Intelligente Gasnetze

Mit smarten Algorithmen Brennwerte bestimmen
10/04/2019
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Fast jeder Bundesbürger nutzt täglich Gas – zum Heizen oder zum Kochen. Aktuell liefern verschiedene Quellen Gase unterschiedlicher Beschaffenheit. Daraus ergeben sich Schwankungen bei den Brennwerten für den Endkunden. Ein Forschungsprojekt der Hochschule München verfolgt Laufzeiten von Gas mithilfe von Gassensoren und „smarten“ Algorithmen, um Brennwerte künftig noch genauer zu bestimmen.
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Das für Deutschland benötigte Erdgas fließt aus unterschiedlichen Quellen zu den Endverbrauchern: Es kommt – vorwiegend – aus Nord- und Osteuropa, aber auch von Übersee. Eine andere Quelle sind Biogasanlagen, die Gas regenerativ erzeugen. Immer häufiger wird zudem überschüssige Energie, z. B. aus Windstrom und Sonnenkraft mit Power-to-Gas-Anlagen direkt in Wasserstoff oder in Methan überführt und dann in die Erdgasnetze eingeleitet. Auf diese Weise vermischen sich unterschiedliche Gase in den Gasverteilnetzen, über die Haushalte, industrielle Betriebe oder Kraftwerke ihr Gas beziehen. Die Brennwerte und damit der Energieinhalt der gelieferten Gase an den Ausspeisestellen der Endkunden können deshalb stark variieren; je nachdem aus welcher Quelle und zu welchen Anteilen der Kunde Gas verbraucht.
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Ungenaue Gasrechnungen vermeiden
Um Kunden gemäß Arbeitsblatt G685 des deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) korrekt abzurechnen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, es werden volumengewichtete mittlere Monatsbrennwerte zum Abrechnen verwendet. Dann ist die sog. „2-Prozent-Regel“ zu beachten, d. h. die Brennwerte der eingespeisten Gase dürfen sich um nicht mehr als zwei Prozent voneinander unterscheiden. Um dies einzuhalten, wird beim direkten Einspeisen von Biogas in Gasverteilnetze in der Regel eine Brennwertanpassung, auch Konditionierung genannt, vorgenommen. Dies ist jedoch teuer und wenig umweltfreundlich – also lösen Gasnetzanbieter das Problem der Einspeisung und Abrechnung von Gasen unterschiedlicher Qualitäten zunehmend mit Hilfe der Gasbeschaffenheitsverfolgung. Dieses Verfahren ermöglicht es, Gase unterschiedlicher Qualität in Gasnetze einzuspeisen und korrekte Brennwerte zu bestimmen. Die Gasnetze werden flexibler und deren Betrieb deutlich wirtschaftlicher.
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Eine Software, die eine Gasbeschaffenheitsverfolgung nach DVGW G685 vornimmt, ist SmartSim. Es ist das erste System dieser Art, das seit 2011 für Verteilnetze genehmigt ist. SmartSim ordnet geeicht-gemessene Brennwerte von den Einspeisestellen den Ausspeisestellen zu. Anstelle von geeichten Messungen der Austrittsvolumina treten größtenteils Schätzungen mittels Standardlastprofilen (SLP). Das sind Verbraucherprofile, die repräsentativ für verschiedene Haushaltsgruppen stehen und Energieabnahmen auf Basis von vorherigen Verbrauchsdaten berechnen. Die berechneten Brennwerte werden mit sog. Prozessgaschromatographen (PGC) validiert, die an Netzknoten mit Wartungszugang oder direkt an Ausspeisestellen geeichte Messungen der Gaszusammensetzung als Stichproben nehmen.
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Neues Verfahren zur Gasbeschaffenheitsverfolgung
Eine Neuerung bei der direkten Validierung bringt ein Verfahren namens SmartSense, das der Doktorand Athanassios Alexiou und Prof. Dr. Joachim Schenk an der Hochschule entwickeln: Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens und der zeitvarianten Signalverarbeitung ermitteln neben den Gasanteilen auch die Gaslaufzeiten von Einspeise- zu Ausspeisestellen – oder zwischen beliebigen Knoten im Netz. Voraussetzung dafür ist, dass Gassensoren an den relevanten Netzknoten Daten zur Gasbeschaffenheit aufzeichnen. Dazu werden die zeitlichen Verläufe einer einzelnen oder mehrerer Gasbestandteile an den jeweiligen Knoten in digitale Daten überführt. So werden Laufzeiten und Anteile der Einspeisegase direkt ermittelt und selbst nach Vermischung unterschiedlicher Gase beim Verbraucher voneinander unterschieden.
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Lea Knobloch