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Wie unterstützt Ehrenamt Familien?

HM-Professorin Martina Wegner forscht zu bürgerschaftlichem Engagement und seinen Wirkungen
22/03/2024
Verhilft ehrenamtliches Engagement Familien zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Ob dies auch in Bayern der Fall ist, erforscht HM-Professorin Martina Wegner im Verbundprojekt ForFamily. Die Expertin für zivilgesellschaftliche Entwicklung mit einem Schwerpunkt auf bürgerschaftlichem Engagement nimmt dessen Unterstützungspotenzial für Familien unter die Lupe.
Was sagt der Stand der Forschung zur Unterstützung von Familien durch bürgerschaftliches Engagement?
Grundsätzlich gibt es ein weitgefächertes Angebot an ehrenamtlicher Unterstützung für Familien durch Ehrenamtliche: Sie trainieren Jugendmannschaften, fungieren als Lesepat:innen oder unterstützen pflegende Angehörige. Es versteht sich von selbst, dass dieses freiwillige Engagement einen Beitrag zu besseren Lebensbedingungen leistet, allerdings wird die Wirkung von Engagement immer sehr allgemein beschrieben und selten auf konkrete Gruppen und ihre Situation bezogen dargestellt.
Ist bürgerschaftliches Engagement von Freiwilligen im Bereich Familien per se von Vorteil?
Das ist in der Tat ein Problem in der Untersuchung der Wirkung von Engagement: Engagement ist stark normativ aufgeladen, d.h. man unterstellt, dass Engagement etwas Gutes ist. In gewisser Weise stimmt das auch, weil Menschen miteinander in Kontakt kommen, einander helfen oder miteinander lernen. Auf diese Weise entstehen Gelegenheitsstrukturen, die uns helfen, unsere gesellschaftlichen Werte zu bestätigen oder auszuhandeln. Und wir sehen gerade heute, wie wichtig dieser Kontakt ist und wie bedenklich es sein kann, wenn die Menschen sich zurückziehen und vereinzeln. Aber wir müssen darauf achten, dass durch umfassendes und etabliertes Engagement in manchen Bereichen keine Entpolitisierung gesellschaftlicher Problemlagen entsteht. Wir sehen, dass die Tafeln, zu denen viele Ehrenamtliche beitragen, das Thema „Armut“, auf das sie eigentlich aufmerksam machen wollten, nicht mehr auf die politische Agenda bringen können. Sie werden von Politikerinnen und Politikern für ihr Engagement und ihren Beitrag zur Gesellschaft gelobt, ohne dass thematisiert wird, dass es in Deutschland Familien gibt, die nicht genug zu essen haben. Hier steht die soziale Frage auf dem Spiel, die nicht in private Organisation verlagert werden sollte.
Worin liegen die Herausforderungen von Freiwilligenengagement in Zeiten gewandelter Familienbilder?
Hier kommen wir zu einer der Hypothesen des Forschungsprojekts: In der Tat verändern sich Familienbilder, u.a. durch Patchworkfamilien, veränderte Arbeitsbedingungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder unterschiedliche kulturelle Vorstellungen. Gleichzeitig wissen wir aus der Forschung, dass die Mittelschicht im Ehrenamt stärker vertreten ist und somit ihre Werte in die Unterstützung von Familien einbringt. Das kann – wie oben beschrieben – dazu führen, dass man voneinander lernt, es kann aber auch sein, dass eine Schicht, die ohnehin schon über mehr Ressourcen verfügt, in asymmetrischer Weise ihre Werte vertritt. Bisher ist das aber eine Arbeitshypothese.
Was ist Ihr Vorgehen für Ihr Teilprojekt in ForFamily?
Nach dem Kartieren des Engagements für Familien, werde ich mit meiner Promovendin Leah Bräkau, die doppelte HM-Absolventin ist und der HM in der Forschung treu bleibt, den Engagementbegriff schärfen und nach der Eingrenzung des Untersuchungsgebiets Indikatoren zur Messung von sozialer Gerechtigkeit entwickeln.
Martina Wegner
Prof. Dr. Martina Wegner ist seit 2009 Professorin für die Organisation von Zukunftsdiskursen an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule München. Die studierte Philosophin promovierte bis 2004 an der Universität Eichstätt im Bereich Wirtschaftsethik. Sie war Geschäftsführerin des Zentrums für zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) in Freiburg und Mitglied der zweiten Engagement-Berichtskommission der Bundesregierung sowie der Arbeitsgruppe „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ der Demografie-Strategie der Bundesregierung. Sie begleitete während einer Teilabordnung an das Bundesfamilienministerium ein Programm zum Demografischen Wandel mit Fokus auf Engagement und Bürgerbeteiligung. Sie lehrt schwerpunktmäßig im Studiengang „Management Sozialer Innovationen“ und verantwortet dort den Bereich Werte und Normen.
ForFamily
Prof. Dr. Martina Wegners Forschungen sind Teil des Forschungsverbundprojekts ForFamily, Familienleben in Bayern - Empirische Einsichten zu Transformationen, Ressourcen und Aushandlungen. In zehn Teilprojekten werden vier Jahre lang Aspekte des heutigen Familienlebens mit einem Fördervolumen von 3,6 Millionen Euro aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst erforscht, um Anregungen für politisches Handeln zu entwickeln.
Das Interview führte Christiane Taddigs-Hirsch