(Neue) Digitale Nachhaltigkeit
Sozialwissenschaften
Erweiterung des Konzeptes der Digitalen Nachhaltigkeit unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten. Framework zur nachhaltigen Digitalisierung in Non Profit Organisationen.
Projektbeschreibung
Ein Forschungsprojekt im Rahmen eines Forschungssemesters
Das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit (vgl. Stürmer 2017) kann weitergedacht, gute Anhaltspunkte für ein Modell liefern, mit dessen Hilfe Digitalisierungsprozesse auf ihre Nachhaltigkeitsdimension hin geprüft werden können. Mithilfe des Frameworks können sowohl ökologische, ökonomische als auch soziale Nachhaltigkeitsdimensionen, wie sie in den Sustainable Development Goals (UNO 2015) beschrieben sind, in diesen Prozessen implementiert werden. Hierbei sind die folgenden vier Teilbereiche von Bedeutung. Der individuelle Impact der Maßnahmen variiert je nach betroffenen Produkten und muss bei der Umsetzung berücksichtigt werden.
Die nachhaltige Digitalisierung erfordert, dass Beschaffung und Betrieb von Hard- und Software Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. Diese Maßnahmen beziehen sich primär auf ökologische, aber auch auf ökonomische und soziale Aspekte, im Einklang mit den SDGs. Mögliche Maßnahmen zur nachhaltigen Hardware-Nutzung umfassen die Einführung einer internen Kreislaufwirtschaft durch eine Datenbank für gebrauchte und ungenutzte Geräte. Eine Kreislaufwirtschaft über die individuelle Einrichtung hinaus, die z. B. durch Ankauf von "refurbished" Produkten und die Weitergabe von Geräten erreicht werden kann. Die Reparierbarkeit und Lebensdauer der Hardware sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden. Der Ressourcenverbrauch sollte bereits bei der Anschaffung berücksichtigt werden, wobei Informationen dazu bei Herstellern und im Internet verfügbar sind. Auch die Peripheriegeräte sollten beachtet werden. Eine suffiziente Kaufentscheidung, die nicht nur aus Haushaltsgründen getroffen wird, ist essenziell. Strom für den Betrieb kann von Ökostromanbietern bezogen werden.Sehr schwer umsetzbar sind die faire Behandlung und gute Bezahlung aller an der Herstellung und im Vertrieb von Hardware beteiligten Parteien, da hier oft Daten fehlen. Diese Maßnahme bleibt jedoch wünschenswert.Bei der Einführung von Software sollte zunächst auf angemessene Voreinstellungen geachtet werden, sofern die Software dies zulässt. Dies umfasst Aspekte wie Energieverbrauch, Barrierefreiheit und Datensparsamkeit. Beispielsweise kann bei Videokonferenzen eine niedrigere Übertragungsqualität voreingestellt oder das Nachladen von Inhalten nach Bedarf gestaltet werden. Barrierefreiheit betrifft die Darstellung, und Datensparsamkeit zeigt sich in den minimal erforderlichen Eingabedaten. Offline-Fähigkeit kann oft sinnvoll sein, und grüne Internetanbieter bieten ökostrombetriebene Server an. Das Digital Design einer Software entscheidet, wie viele Ressourcen bei gleichem Funktionsumfang benötigt werden. Dieser Aspekt ist häufig nicht bekannt und deshalb auch nicht Teil von Ausschreibungsverfahren. Unter Nachhaltigkeitsaspekten muss Barrierefreiheit mitgedacht werden. Darüber hinaus ist die Langlebigkeit der Software ist wichtig, erkennbar an der Verfügbarkeit von Updates, Support und der Nutzbarkeit auf älteren Geräten.Weiterhin ist Plattformunabhängigkeit erstrebenswert, sodass die Software auf verschiedenen Systemen und Geräten ohne Modifikationen funktioniert.
Die IT-Nutzung führt zwangsläufig zur Entstehung digitaler Daten, was hinsichtlich der Nachhaltigkeit zu Herausforderungen führt. Einfache Maßnahmen umfassen die Praxis der Speicherökonomie und der Datensparsamkeit, insbesondere bei internen Daten, die nicht von Dritten angefordert werden. Regelmäßiges Löschen von nicht benötigten Daten, wie z.B. alten E-Mails, kann CO2 einsparen. Es sollte auch überlegt werden, ob Daten lokal gespeichert statt in der Cloud vorgehalten werden können. Andere Herausforderungen betreffen den Datenschutz und die Datensicherheit, insbesondere Schutzmaßnahmen vor Cyberangriffen, denen soziale Einrichtungen zunehmend ausgesetzt sind. Auch die Nutzung von open-data ist wichtig, um redundante Datenerfassung zu vermeiden und Innovationen zu fördern. Die dauerhafte Verfügbarkeit und sichere Speicherung der Daten ist entscheidend. Im sozialen Bereich wird ein Treuhändersystem für Daten diskutiert, bei dem Daten sicher und verschlüsselt bei einem Dritten gespeichert werden. Dies würde den Bedarf an eigener Hardware oder unsicheren Cloud-Lösungen reduzieren und sozialen Einrichtungen maßgeschneiderte Lösungen bieten.
Gerade im Bereich der Sozialen Arbeit sind Ethische und Soziale Implikationen der Digitalisierung von zentraler Bedeutung. Die ersten beiden Abschnitte haben eher allgemeingültige Merkmale behandelt. Einfach umsetzbar ist die kritische Hinterfragung und Kommunikation des Sinns der Digitalisierung an die betroffenen Gruppen, um sicherzustellen, dass digitale Produkte akzeptiert werden. Wichtig sind regelmäßige Fortbildungen und Feedbackschleifen, um Anpassungen vornehmen zu können. Komplexer ist die Sicherstellung der Partizipation aller Beteiligten im Digitalisierungsprozess. Digitalisierung kann sowohl zur niedrigschwelligen Partizipation beitragen als auch Beteiligungsprozesse selbst umfassen, wie die Echtzeiteinsicht in persönliche Daten durch Adressaten. Sehr komplex, aber konzeptionell wichtig, ist die Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion. Dies betrifft Entscheidungshoheit, Substitutionsprozesse und die Rolle von KI als Assistent. Die Technik kann Inklusion fördern oder behindern. Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und entwicklungspsychologische Aspekte, besonders bei Minderjährigen, müssen beachtet werden. Zentral ist zudem die Adressierung des Digital Divide, der auf unterschiedlichen Ebenen (Zugang, Kompetenz, Folgen der Nutzung) soziale Ungleichheiten schaffen kann. Während interne Kompetenzdefizite durch Fortbildungen gelöst werden können, sind gesellschaftliche Auswirkungen schwieriger auszugleichen. Auch die Datensammlung durch digitale Technologien wie proprietäre Software ist oft unvermeidlich, erfordert aber kritische Betrachtung. Die Etablierung einer Sharing-Kultur erfordert eine Kulturveränderung, die Zeit braucht und oft von unten nach oben initiiert werden muss. Veränderungsmanagement sollte durch eine vertraute Arbeitsumgebung und Vorbilder unterstützt werden.
Die Umsetzung von Digitalisierungsprozessen hat weitreichende Auswirkungen auf Mitarbeitende, Adressat:innen und die Organisation selbst. Diese Wirkungen sind stark abhängig von der Qualität der Durchführung der Digitalisierungsprozesse. Ein zentraler Aspekt der Digitalisierung betrifft die geistige Gesundheit der Mitarbeitenden. Home Office kann beispielsweise für einige entlastend, für andere belastend wirken. Außerdem besteht die Herausforderung, dass Mitarbeitende sich in digitalen und analogen Welten zurechtfinden müssen, was zu einer doppelten Belastung führen kann. Die Entgrenzung von Arbeitszeit und -ort sowie die Vermischung von Beruflichem und Privatem durch Kommunikationsmittel sind ebenfalls bedeutende Themen, die klare Regeln erfordern. Das Design von Programmen kann Druck auf die Mitarbeitenden ausüben, wenn es ihre Bedürfnisse nicht erfüllt. Neben der psychischen Gesundheit sollte auch die körperliche Gesundheit durch eine geeignete Ausstattung der Arbeitsplätze berücksichtigt werden. Die Organisation verändert sich durch Digitalisierung, indem Verwaltungsprozesse transparenter und hinterfragt werden, was zur Verbesserung von Abläufen und der Arbeitskultur beitragen kann. Digitale Kommunikation erfordert eine begleitete Einführung, um Missverständnisse und Enthemmungen zu vermeiden, sie kann aber auch die Partizipation und damit die Mitarbeiterbindung fördern. Es ist entscheidend, den Digital Divide nicht zu vergrößern, indem allen Mitarbeitenden und Adressat:innen der Zugang zu digitalen Angeboten ermöglicht oder analoge Alternativen bereitgestellt werden. Digitale Geräte beeinflussen die Aufmerksamkeit und die Raumnutzung, was berücksichtigt werden muss. Pfadabhängigkeit und Log-In-Effekte können die Flexibilität bei der Nutzung von Programmen einschränken. Die Digitalisierung beeinflusst auch das Wissensmanagement. Gute Strukturierung kann den Zugang zu Wissen erleichtern, jedoch können informelle Wissensweitergaben verloren gehen. Die Bereitstellung von Daten als open data wäre wünschenswert, um gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern. Dies ist jedoch schwierig umzusetzen, da es häufig mit Datenschutzvorgaben kollidiert. Hier muss frühzeitig über die Verwendung der Daten nachgedacht werden.
FK 11 - Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften
Stuermer, Matthias/Abu-Tayeh, Gabriel/Myrach, Thomas (2017): Digital sustainability: basic conditions for sustainable digital artifacts and their ecosystems. In: Sustainability Science. 12 (2) 247–262. Online hier abrufbar.