Can’t Climb It? Kant! Climate! [/kɑːnt/ /ˈklaɪ.mət/]
Kant [/kɑːnt/] or Can Do? On Our Climate-Related Duties From a Kantian Perspective
Wie lässt sich mit Kant für individuelle Handlungspflichten zum Klimaschutz argumentieren?
Haben wir eine moralische Pflicht zum Klimaschutz – und wenn ja, wer und wie sehr? Diese Fragestellung treibt in der Debatte um die Folgen und Implikationen der Erderwärmung weltweit sehr viele Menschen um. Neben in den nationalen Rechtsordnungen gesetzlich verankerten Rechtspflichten beispielsweise zum Betrieb bestimmter Holzfeuerungsanlagen stellt sich die Frage moralischer Handlungspflichten, die ganz unterschiedlich gestellt und beantwortet werden kann. Wenn die gegenwärtige Erderwärmung menschlichen Ursprungs (anthropogen) ist – eine These, die auf wissenschaftlicher Grundlage nicht mehr plausibel bestritten werden kann –, so ergibt sich nach dem Standardmodell der Zuschreibung moralischer Verantwortlichkeit auch, dass die Verantwortung für die Folgen der Erderwärmung bei Menschen liegt. Was das genau bedeutet, bedeuten kann oder bedeuten sollte, ist Gegenstand lebhafter Diskussion in unterschiedlichsten Foren – nicht zuletzt im Rahmen des Rechtssetzungsprozesses auf internationaler Ebene, der „Conference of the Parties“ (COP) des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 mit seinen jährlichen „Klimagipfeln“ an wechselnden Orten. Pflichten, rechtliche wie moralische, können individuell oder kollektiv, sie können eng, weit, sanktionsbewehrt oder bloß symbolisch zu verstehen sein, um nur einige Varianten zu nennen. In seinem bahnbrechenden Klimabeschluss vom 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht für die deutsche Rechtsordnung auf Grundlage des Grundgesetzes mit seinem Art. 20a (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) konstatiert, dass wir – sinngemäß – als Gemeinwesen kollektive Rechtspflichten haben, zeitlich und qualitativ angemessenen Klimaschutz zu betreiben.
Im hier vorgestellten Projekt wird eine Argumentation nicht zugunsten kollektiver Rechtspflichten, sondern zugunsten individueller moralischer Handlungspflichten anhand eines an der Moralphilosophie Immanuel Kants orientierten Ansatzes verfolgt. Mit Kant lässt sich dafür plädieren, dass wir zum Klimaschutz verpflichtet sind, dass es uns aber in bestimmten – veränderlichen – Grenzen überlassen bleibt, das Mittel der Wahl zu bestimmen, wie wir dies tun möchten. Dabei wird die Idee kantischer Tugendpflichten, die als sogenannte unvollkommene Pflichten verstanden werden, zur Bestimmung unserer klimabezogenen Pflichten herangezogen. Unvollkommene Pflichten lassen Spielraum (lat. latitudo) für die moralischen Akteure und Akteurinnen. Es handelt sich dabei um ein zweistufiges Modell von (i) vorgegebenen moralisch verpflichtenden und verallgemeinerbaren Zwecken und (ii) individuellen Freiheiten bei der Wahl möglicher Handlungsoptionen zur Zweckerreichung. In einer berühmten Passage in Kants Tugendlehre, dem zweiten Teil der Metaphysik der Sitten von 1798 (der erste Teil, die Rechtslehre, ist von 1797), heißt es: „[…] daß es [das Gesetz] der Befolgung (Observanz) einen Spielraum (latitudo) für die freie Willkür überlasse, d.i. nicht bestimmt angeben könne, wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle.“ (Immanuel Kant, Akademie-Ausgabe, AA VI:390). Mit Blick auf den Klimaschutz könnten wir dieses Modell wie folgt ausbuchstabieren: Erster Schritt: Zweck, der zugleich Pflicht ist: Klimaschutz betreiben (klimaverträglich leben, Klimaneutralität im eigenen Leben anstreben). Daraus ergibt sich als subjektives Handlungsprinzip die Maxime: „Handle so, dass Du in Deinen Handlungen dem Zweck des Klimaschutzes entsprichst und den Gedanken der klimaneutralen Lebensweise umsetzt.“ In einem zweiten Schritt sind nun einzelne Handlungen (action tokens) jeweils von der moralischen Akteurin oder dem moralischen Akteur unter diese Maxime zu subsumieren und zu prüfen. Dabei bleibt der besagte „Spielraum (latitudo) für die freie Willkür“. Im Rahmen dieses klimaethischen Forschungsprojekts werden mögliche Einwände gegen den vorgeschlagenen Fokus auf unvollkommene moralische Pflichten diskutiert sowie eine mögliche Ausdifferenzierung des Modells einschließlich der Modulation unterschiedlicher Anforderungen an die Subsumierbarkeit von Handlungen unter die Maxime vorgeschlagen. Eine Publikation ist derzeit in Vorbereitung.
Zum Exponat der Ausstellung
Das Exponat zeigt ein Foto der Nachbildung des 1864 entstandenen Kant-Denkmals von Christian Daniel Rauch. Rauch, ein Schüler von Johann Gottfried Schadow, gilt als bedeutender Vertreter des Klassizismus in der bildenden Kunst und der Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts. Die Bronzeplastik hat eine eigene, bewegte Geschichte. Ursprünglich in Königsberg, der Stadt Kants (heute: Kaliningrad), zu dessen Ehren errichtet, ist sie im zweiten Weltkrieg verschollen. Ein Rettungsversuch und ein Nachguss verknüpfen sich eng mit dem Namen der früheren Herausgeberin der Wochenzeitung „Die Zeit“, Marion Gräfin Dönhoff. Es lohnt sich, dies nachzulesen.
Zu Zeiten Kants (1724-1804) war von anthropogenem Klimawandel noch keine Rede; seine Moralphilosophie stellt Pflichten gegenüber anderen und gegenüber uns selbst in den Vordergrund. Auch Tiere dürfen nach Kant nicht misshandelt werden. Aber das Klima? Können wir aus einer kantischen Perspektive auch das Klima in den Skopus unserer moralischen Pflichten einbeziehen? Das ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich, es lässt sich aber dafür argumentieren.
Die Figur auf dem Bild versucht, mit Kant auf Augenhöhe zu kommen und ihn für die Klimaethik nutzbar zu machen. Die Bemühungen sind nicht vergeblich: Wir können die Frage, ob wir es schaffen, den Kant zu erklimmen und Kant und Klima zu verbinden, affirmativ beantworten. Wenn wir das auf Englisch sagen, so fragen wir: „Can’t Climb It?“ Phonetisch ausgedrückt: [/kɑːnt/ /ˈklaɪ.mət/ ?] Die Homophonie [der Gleichklang der Worte] erschließt sich uns in der englischen Lautschrift: Kant! Climate!
Forschung im Bereich Klimaethik (FK11)
Projekt zu klimabezogenen moralischen Pflichten aus einer kantischen Perspektive
Kontaktperson: Prof. Dr. Katja Stoppenbrink
Professur für Ethik in den Sozialen Berufen
Forschungsinstitut für Soziales, Gesundheit und Bildung | Society, Health and Education Research Center (SHE:RC)