Warum landen immer mehr ältere Menschen im Gefängnis?
Durch die zunehmende Lebenserwartung und den Rückgang der Geburtenraten wächst auch die Zahl jener, die im Alter kriminell handeln oder als Senioren eine Haftstrafe verbüßen. Die Ursachen für Kriminalität unterscheiden sich nach Altersgruppen nur wenig. Die Delikte und Auslöser wandeln sich jedoch über den Lebenslauf.
HM-Professor Stefan Pohlmann von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der HM erforscht Alterskriminalität - für ihn ein Tabuthema.
Warum ist das Thema Alterskriminalität wichtig für die heutige Gesellschaft?
Alterskriminalität ist ein Tabuthema, weil es sich nicht mit herkömmlichen Vorstellungen über das Alter deckt. Es ist aber wichtig, die gesellschaftlichen Dinge in den Blick zu nehmen, die kaum Beachtung finden. Gerade die Beschäftigung mit älteren Menschen, die straffällig werden, kann uns neue Wege für die Strafverfolgung, Rechtsprechung und Bestrafung von allen Straftäter:innen aufzeigen.
Welche Bedürfnisse haben ältere Strafgefangene?
Wir wissen, dass Menschen in Haft schneller altern und das Risiko für langfristige und sich verschlimmernde Erkrankungen besonders hoch ist. Sollen ältere Inhaftierte im Gefängnis nicht zerbrechen, müssen in der Betreuung spezielle Bedürfnisse dieser Gruppe berücksichtigt werden, die sich auf das Strafmaß, die Haftbedingungen und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft beziehen.
Schätzt die Gesellschaft junge und ältere Straftäter:innen unterschiedlich ein?
Genau darauf deuten unsere Befragungen von Laien nach ihrem Rechtsverständnis hin. Dabei zeigen sich zwei unterschiedliche Tendenzen: Bei Straftaten im Bagatellbereich werden für Ältere oft mildere Urteile, für ernstere Verbrechen dagegen vermehrt härtere Bestrafungen gefordert als bei jüngeren Beschuldigten.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihrer Forschung zur Alterskriminalität überrascht?
Die Untersuchungen von älteren Personen in Haft haben mir drastisch vor Augen geführt, wie hart ein Leben in Unfreiheit gerade dann empfunden wird, wenn nur noch wenig Lebenszeit bleibt. Dies zeigt, wie wichtig ein humanes, angemessenes und zugleich abschreckendes Justizsystem ist. Mich verwundert, wie wenig sich die Wissenschaft mit diesem Thema bislang befasst hat.
Was treibt Sie bei Ihrer Forschung an?
Als Wissenschaftler bin ich immer zugleich auch Lernender. Die Altersforschung gibt mir die Möglichkeit, von dem bestehenden Erfahrungswissen zu profitieren und zugleich generationsspezifische Probleme, Fehler und Lösungsansätze für die Zukunft besser zu verstehen. Ich kann mir kaum etwas Spannenderes vorstellen.
Wie wird sich das Phänomen wohl im Jahr 2050 entwickelt haben? Wird es Gefängnisse allein für Ältere geben oder einzelne Abteilungen für Ältere wie heute für Frauen und Jugendliche?
Schon jetzt existieren Justizvollzugsanstalten mit spezifischen Angeboten für ältere Inhaftierte. Das wird sicher zunehmen, da auch die Zahl von älteren Tatverdächtigten mit großer Wahrscheinlichkeit weiter ansteigt. Wir hoffen darauf, dass die heutigen Maßnahmen systematisch überprüft werden und zugleich wirksame Alternative dafür gefunden werden, alte Menschen nicht schlicht wegzusperren. Dazu braucht es zwingend mehr Forschung.
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